Review< Zurück 07.10.2009
Von Max Werschitz
Michael Hankes 'Das weiße Band' hatte in den letzten Wochen ja schon hinreichend Medienpräsenz und Aufmerksamkeit, unter anderem aufgrund der Auszeichnung mit der diesjährigen goldenen Palme und der den Österreichern vermutlich etwas schmerzlich aufstoßenden Tatsache dass trotz heimischem Regisseur unsere deutschen Nachbarn die deutsch-österreichisch-französische Koproduktion für den Auslandsoscar 2010 einreichen werden. Wie dem auch sei: man kann den Hype durchaus als gerechtfertigt bezeichnen.
Nordeutschland, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Das beschauliche Dorf Eichwald ist fest in der wirtschaftlichen Hand des hiesigen Gutsherrn und der moralischen Faust des protestantischen Pfarrers. Dieser bindet seiner ungehorsamen Tochter schon mal ein weißes Band ins Haar, um sie monatelang an ihre Vergehen, und damit ihre Schuld und Scham, zu erinnern. Oder fesselt den gerade seine Sexualität entdeckenden Sohn nachts ans Bett damit er sich nicht gegen Gott, die Welt und seinen Körper versündigt. Und kommt seinen Kindern nur dann wirklich körperlich nahe wenn er sie mit methodisch-ritualisierter Prügelstrafe züchtigt. Der auf den ersten Blick respektable ansässige Arzt wiederum demütigt ohne Wimpernzucken die Haushälterin mit der er eine Affäre hat, und vergreift sich heimlich an seiner vierzehnjährigen Tochter.
Autoritäre Erziehung, scheinbar blinde Obrigkeitshörigkeit und ein kollektives Wegschauen ziehen sich wie ein unsichtbarer roter Faden durch dieses, in beklemmend kraftvollen Schwarz/Weiß-Bildern gehaltenes, Miniaturbild der damaligen Gesellschaft. Bis sich immer mehr unerklärliche Ereignisse zu einem neuen, schmerzlich sichtbareren Netz an Gewalt und Bestrafung verdichten: Der Arzt wird durch ein mysteriöses zwischen zwei Bäumen gespanntes Drahtseil vom Pferd geworfen und schwer verletzt, der Sohn des Gutsherrn blutig geprügelt gefesselt aufgefunden, das behinderte Kind der Haushälterin bestialisch attackiert. Das kleine Dorf gerät aus den Fugen, und nur einer scheint den Hintergründen langsam auf die Spur zu kommen - der junge Lehrer, der schließlich die Kinder als Täter vermutet.
Das Ende bleibt, wie könnte man es bei Michael Haneke auch anders erwarten, trotz aller geschickt platzierter Hinweise und von diversen Protagonisten ausgesprochener Vermutungen ausreichend offen, und die endgültige Wahrheit im Detail verborgen. Bezeichnend für die Botschaft des Films ist jedenfalls die Szene gegen Schluß als der Lehrer den Pfarrer zaghaft und selbst noch eher ungläubig mit seiner Theorie konfrontiert und dafür nur Zorn und Drohungen kassiert - von einem Mann der, neben vielen anderen in der Gemeinschaft, mit psychologischer ebenso wie physischer Gewalt nicht nur die Kinder, sondern auch alle anderen DorfbewohnerInnen regiert, aber sich scheinbar nicht vorstellen kann oder will dass diese ausgebrachte Saat solche Früchte tragen könnte.
Das weiße Band zeichnet die Lebensumstände und Motivationen einer noch jungen Generation die sich bald darauf in den Fängen des Faschismus wiederfinden sollte geschickt auf den Mikrokosmos heruntergebrochen nach. Die Intensität und Qualität dieser "deutschen Kindergeschichte" (so der offizielle Untertitel) entsteht in meinen Augen genau durch diese Tatsache, dass sich in erstaunlich kurzweiligen zweieinhalb Stunden schleichend eine alles in ihren Bann ziehende Bedrohung aufbaut, als Miniaturbild der realen gesellschaftlichen Entwicklung die Jahrzehnte dauerte und schließlich im Zweiten Weltkrieg kulminierte.
Das weiße Band ist ein stiller, unglaublich präzise orchestrierter und sich kraftvoll verdichtender Film der einen sanft von hinten auf die Schulter klopft während das Damoklesschwert schon lange seinen drohenden Schatten herabwirft. Ganz in Hanekescher Tradition - man denke nur an Funny Games und Caché - zieht er den Zuschauer unweigerlich in seinen Bann, und gibt ihm auf den Nachhauseweg vom Kino noch ein ganz persönliches unsichtbares weißes Band zum Nachdenken mit.
Meine Wertung: |
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